Über Nacht im Canyon hatten wir diesmal unser Obst und Gemüse in den Kühlschrank gelegt, damit es nicht zu kalt wird und erfriert. An diese Nutzung unseres Kühlschranks hatten wir zuvor selbst nicht gedacht. Doch vermutlich ist es in der Nacht zwar kalt, aber nicht so kalt wie an der Laguna Blanca gewesen. Wir frühstücken in Ruhe im Canyon, auch heute packen wir mit Höhentempo. Und dann rumpeln und ruckeln wir stundenlang über schlechteste und schlimmste Straßen durch Bolivien. Erst an der schönen Laguna Colorada vorbei, zahlreichen Vicuñas immer wieder, Lasse navigiert und bemerkt mit gutem Humor, dass wir nach einer Stunde schon acht Kilometer geschafft haben. Noch ist es lustig und ganz unterhaltsam, doch ich habe ständig Sorge um unser Dachzelt. Wir verlassen den Nationalpark und sind irgendwie wieder mal ohne jede Straße in irgendeinem Salar.
Es ist total merkwürdig, nach Bolivien als vollkommen fremdes Land durch diesen Nationalpark einzureisen. Tolle Natur, absolut grandios. Doch wo sind die Menschen, wie sind die Menschen? Mir fehlt vollkommen der Bezug, der Eindruck, wie ist dieses Land wirklich, ich fühle es nicht und das verunsichert. Die Natur, die weite, zwar grüne und doch karge Berglandschaft bleibt eindrucksvoll, die Blicke und Perspektiven ändern sich ständig, die Straße bleibt Waschbrett-Horror, auch wenn Hans bereits zweimal etwas Luft aus den Reifen gelassen hat, was das ganze geringfügig verbessert. Egal, welche Geschwindigkeit Hans wählt - wir haben ja durchaus einige Waschbretterfahrung - es bleibt eine einzige Rumpelei, die ewig dauert.
Bis auf zwei, drei Autos bleiben wir stundenlang allein. Wir erreichen ein Betonbarackendorf, das wie ausgestorben ist. Am Ende jedoch eine uralt aussehende Frau in Tracht an einer Schranke, an der wir allen Ernstes 10 Bolivar Maut bezahlen müssen - und das für diese Piste, die angeblich die nächsten 40 Kilometer die schlechteste in Südamerika sein soll. Doch, oh Wunder, sie lässt sich ab jetzt deutlich besser und so auch schneller befahren. Wir können es kaum glauben und genießen jeden Meter. Dann plötzlich in dem kargen Boden ein Hauch von spärlich ärmlicher Landwirtschaft, in der Ferne ein erstes Dorf.
Und kurze Zeit später tatsächlich eine irgendwie befestigte Straße, die sich ab jetzt wirklich gut und zügig befahren lässt. Totales Aufatmen, am liebsten hätten wir die Straße geküsst. Unser Auto sowieso.
Wieder einmal haben wir tierischen Hunger. In Villa Mar war das einzige Lokal zu. Die Barackendörfer am Wegesrand erscheinen alles andere als einladend, wir fahren bis San Cristobal, wo es auch die erste Tankstelle gibt, aber kein Diesel. Wir freuen uns über unseren ergiebigen Tank und die beiden Reservekanister.
Hier sind die Menschen auf der Straße, überall ist Markt, die Frauen tragen ihre bunten Trachten einschließlich langer schwarzer Zöpfe. Hier kommen wir endlich in Kontakt mit den Menschen - und doch nicht. Wir sind viel fremder als in den bisherigen Ländern, fallen noch sehr viel mehr auf, obwohl hier auch eine ganze Menge offensichtlicher Touristen sind. Wir schauen kurz in eine Markthalle rein, wo die alten Frauen diverse Waren anbieten, hier auch lose Nudeln in großen Säcken, aber leider nichts, was wir mal eben essen könnten. Die Pizzeria hat heute keine Pizza, die Tankstelle kein Diesel - wir fahren raus aus dem Ort und machen ein Restepicknick im Irgendwo. Auch wo wir übernachten, steht noch in den Sternen. Im Overländer hatten wir von Emilio in Uyuni gelesen und beschließen, bis dorthin zu fahren und zu hoffen, dort jemanden anzutreffen. Und dann der Uyuni-Schock. Auch nur Betonbaracken, überwiegend runtergekommen, breite Staubstraßen und überall Müll. An viel Müll hatten wir uns ja inzwischen gewöhnt, aber hier liegt der Müll bergeweise in der Mitte jeder Straßenkreuzung und auch sonst eigentlich überall. Vereinzelte Menschen, aber alles irgendwie tot. Hässlich, schrecklich tot. Lasse navigiert uns zu Emilios Haus und die große Frage, wo übernachten wir bloß, wenn hier niemand ist, stellen wir vorsichtshalber nicht. Der Gedanke ist unvorstellbar. Doch durch den Ritz des Tores sehen wir, dass jemand kommt. Die Tochter nimmt uns freundlich in Empfang, campen sei kein Problem. Lorena kommt auch, bestätigt es und lässt uns in den großen Hof fahren. Emilio, der Touren u.a. in den Salar anbietet, ist unterwegs, doch Lorena ist sehr hilfsbereit und offen, erklärt uns alles und wir haben eine sichere Bleibe für die Nacht. Etwas später zeigt sie uns stolz ihre siebenmonatigen Zwillinge Emily und Matthias, drückt sie Liska und Lasse in die Hand und will unbedingt Fotos der Kinder machen.
Spät abends, als wir schon im Zelt liegen, kommt Emilio nach Hause, doch wir begegnen ihm erst am nächsten Morgen. Wirklich ein herzlicher netter Mensch, der uns gute Tipps in Bezug auf den Salar und das weihnachtliche Salzhotel gibt und Spanisch für Nicht-Spanisch-Sprechende spricht. Mit Lorena gehe ich Brot für unser Frühstück kaufen. Hier kommen wir insgesamt deutlich näher an Bolivien heran. Als wir Emilios Haus und Hof verlassen, lassen wir Lorena unsere ganze Dreckwäsche da, sie wird sie bis zum nächsten Tag waschen, sie hat eine Waschmaschine und das Geld lassen wir ihr sehr gerne noch zukommen - abgesehen davon, dass saubere Wäsche natürlich auch uns wirklich hilft.