Wir schlafen, bis wir wach werden, frühstücken draußen mit Gletscherblick, mit Sonne, obwohl Regen angekündigt war, ohne Moskitos und genießen das Sein in unglaublicher Stille der majestätischen Berge, fast eine Atmosphäre wie in einer Kirche, ein heiliger Ort der Natur. Wir lassen uns Zeit.
Erst als uns langweilig werden könnte, packen wir die Rucksäcke, laufen über die footbridge nach McCarthy zum Store, wo der Bus ins 8km entfernte Kennicott fährt. In Kennicott stehen die Überreste einer alten Kupfermine, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Betrieb genommen wurde. Die roten Gebäude konnten wir schon am Tag zuvor vom Campingplatz aus über den Gletschersee hinweg erkennen. Der Shuttlebus fährt einmal in der Stunde und das auch noch kostenlos.
Wir steigen ein in den kleinen Bus, Lisa, die Busfahrerin, kommt, ein anderer Passagier fragt sie, ob das der Bus nach Kennicott sei und sie antwortet: "Well, there are not many others places to go here, so, yes, this is the bus to Kennicott." Auf der Fahrt erzählt sie uns einiges über McCarthy und dessen Einwohner, u.a. vom großen Massacker, als ein Geisteskranker von den damals 34 Einwohnern mehr als die Hälfte umgebracht hat, mit dem Ziel, alle umzubringen, um dann, ohne dass ihn jemand bemerkt, die Alaska Pipeline zu sprengen. Völlig verrückt. Von den Überlebenden leben noch heute fünf in McCarthy. Wir durchfahren das private Grundstück von Mrs Miller, die mit ihrer brand new gun den Grizzley erschossen hat, nachdem dieser ihre Hühner gefressen hatte. Ein Bilderbuchgrundstück und Haus mit vielen Blumen in Beeten und Töpfen und einem Hühnerstall mit von Elektrozaun gegen Bären umgebenem Gehege. Ganz langsam durchfahren wir ihr private property, because - remember - she is the one who shot the bear. Eine unterhaltsame und lustige Fahrt.
In Kennicott ist eine kleine Ranger Station, die Mine ist ein Historical State Park. Eine Ranger-Praktikantin bietet einen 20min Vortrag über Wölfe an, woraufhin Lasse sofort auf der Bank Platz nimmt, um zuzuhören. Es ist eine Wissensauffrischung über Wölfe, wirklich viel Neues erfahren wir nicht, dafür im Smalltalk die halbe Lebensgeschichte der Frau und unsere Meinung bezüglich dieses Programmpunktes geht anschließend sehr auseinander.
Wir laufen durch Kennicott, verschaffen uns einen oberflächlichen Eindruck über die Geschichte der Mine und über die Kupfergewinnung, sind uns aber einig, eine Führung wollen wir nicht.
Am hinteren Ortsausgang beginnt der Hikingtrail zum Rootglacier, den wir uns für heute ausgeguckt haben. Ein wirklich schöner Wanderweg am Wald entlang, immer wieder mit tollen Blicken auf den Gletscher, wir queren zwei Bäche mit kristallklarem Wasser, waschen und erfrischen uns an einem kleinen Wasserfall, machen ein Picknick und laufen nach einer ganzen Menge Aufstieg nun zum Gletscher hinunter und werden in diesem riesigen Talkessel im Angesicht der gigantischen Eismenge verschwindend klein. An dieser Stelle kann man ziemlich problemlos auf das Eis gehen, es gibt keine Spalten und die Steigung ist so, dass man auch ohne Spikes oder Steigeisen mit gutem Grip laufen kann. Sofort klingt es ganz anders unter den Füßen, obwohl es durch den ganzen dunklen Schotter zunächst kaum anders aussieht. Doch je weiter wir nach oben kommen, desto sauberer wird das Eis, weiße Eiskristalle bedecken das blaue Eis, in kleinen Rinnsalen läuft das klare Schmelzwasser hinunter, wir befinden uns inmitten der Eiswelt - und das ganz alleine. Wir haben zwar einige Wanderer getroffen, doch hier haben wir die Welt für uns. Je höher wir kommen, desto spektakulärer wird es. Die Luft ist kristallklar, unglaublich frisch und kalt. In der Ferne ein riesiger Eisfall. Ein wunderbares Erlebnis in absolut schützenswerter Natur. Als wir es genug ausgekostet haben, machen wir uns auf den Rückweg, der wie immer viel kürzer als der Hinweg erscheint. In Kennicott ist schon gar nichts mehr los, ein völlig überteuertes Eis, ein Kaffee verkürzen die Wartezeit auf Lisas Shuttlebus zurück nach McCarthy, wo wir dem Store einen kurzen Besuch abstatten, bevor wir erneut im Saloon essen gehen. Wir treffen dieselben Locals beim Bier wie am Vorabend und auch wenn es heute keine Livemusik gibt, genießen wir die unglaubliche Atmosphäre des Ortes erneut. Trotzdem beschließen wir, schon am nächsten Tag zurück in die Zivilisation zu fahren, so dass wir mit dem Überschreiten der footbridge endgültig Abschied von dieser Aussteigerszene nehmen.
Beim Waschen im Gletschersee und Steine schmeißen hören wir noch ein bisschen dem Gletschergeist zu und freuen uns über diesen erneut sehr besonderen und intensiven schönen Tag.