Ein Jahr später ...
... und das versprochene Fazit fehlt immer noch. Immer wieder schwirrte der Gedanke an dieses fehlende Ende durch meinen Kopf, doch geschrieben hat es sich irgendwie nicht. Jetzt - mit den Gedanken bereits in einem neuen Abenteuer - wird es vermutlich Zeit, diese Reise abzuschließen.
Kanada/Alaska ... eine Reise sehr gemischter und auch ambivalenter Gefühle. Die Faszination der wilden Landschaft mit ihren hohen Bergen, den offensichtlich schmelzenden Gletschern, den reißenden Flüssen, den vielen Wäldern, den großen Seen ist vielleicht bei Lasse noch stärker als bei uns anderen. Er möchte sehr gern noch einmal dorthin, am liebsten selbst mit einem kleinen Flugzeug in die völlig unberührte Natur fliegen und die raue Wildnis hautnah erleben. In Ansätzen hatten wir das auf so mancher mehr oder weniger unbefahrenen, eher weniger asphaltierten Straße, sei es der Silver Trail, der Dempster Highway, die Weiterfahrt bis Tuktoyaktuk oder auch die verbotene Mc Carthy Road. Alles auf seine eigene Weise spektakulär und von wunderbaren Momenten geprägt, aber immerhin alles noch Straße. Ich glaube, Lasse schwebt anderes vor. Ich bin gespannt. Das durchgängig schlechte Wetter auf dem Denali Highway war schwer zu verkraften und ist bis heute ein dickes "Schade". Wir hatten fantastische Erlebnisse und - wie auf jeder Reise - die ein oder andere Enttäuschung. Meist bleiben am Ende die Highlights weit besser in Erinnerung. Diesmal scheint es zumindest bei mir eine realistischere Erinnerung zu bleiben.
Enorm bewegt und immer wieder nachdenklich gemacht haben mich die authentischen Begegnungen mit den Native People an unterschiedlichen Orten und mit unterschiedlichsten ihnen zugewiesenen Namen und Bezeichnungen. Eigentlich haben mich nicht diese Menschen nachdenklich gemacht, sondern wir haben auf einer tieferen Ebene als je zuvor gespürt und zu spüren bekommen, was der "weiße Mensch" diesen Natives angetan hat und bis heute antut und welche dramatischen Auswirkungen das bis heute hat. Die vielleicht gut gemeinten - und "gut gemeint" ist leider oft das Gegenteil von "gut" - Wiedergutmachungsaktionen, die die Weißen an allen Orten geschickt zu präsentieren wissen, erscheinen mir eher wie Alibi-Aktionen zur Beruhigung des eigenen schlechten Gewissens. Die Natives schien es nicht wirklich zu erreichen.
Ich habe kurz nach unserer Reise das Buch "Der Flug des Raben" von Richard Wagamese gelesen, was mich zutiefst berührt und in meinen Gedanken bestätitgt hat. Ein sehr empfehlenswertes Buch eines Natives mit autobiographischen Zügen. Der Protagonist wird als Kind seiner Heimat, seiner Welt entrissen. Der "weiße Mensch" entführt ihn, um ihm wie auch vielen, vielen anderen Kindern in den grausigen Residential Schools durch Austreibung der eigenen Identität zu einem vermeintlich besseren und zivilisierteren Leben zu verhelfen. Welch eine ahnungslose, ignorante und destruktive Arroganz.
Und all das ist nur ein Beispiel für so zahlreiche in der ganzen Welt, von denen wir inzwischen einigen auf unseren Reisen begegnet sind.
Es ist wirklich gut, diese Erfahrung gemacht haben zu dürfen, mit diesen Menschen zu sprechen, sie in ihrer zerstörten Welt zu erleben. Es macht zutiefst demütig. Es verstärkt die Ambivalenz dieser Reise. Und vielleicht ist es gut, gar kein Ende zu schreiben, damit es weiterhin in uns nachhallen darf.